Fotos: Joel Reischmann und Marcel Hilger
Es gibt unzählig viele Dinge, die ich bei meinem ersten Ironman nicht nur über diese extreme Form der körperlichen und mentalen Belastung, sondern auch über mich selbst und meinen Körper gelernt habe.
Man bringt sich nicht, wie man vielleicht denken würde, erst während des Wettkampfs, sondern schon viel früher, nämlich während der Vorbereitung an physische und psychische Grenzen, von denen man nicht wusste, wo sie existieren und wie weit man den eigenen Körper tatsächlich strapazieren kann, wenn man denn nur will. Und vor allen Dingen: Wenn man ihn mit ausreichend Brennstoff versorgt.
Auch wenn das vielleicht fast schon zu einfach klingen mag – Langdistanz-Triathlon ist in erster Linie ein ziemlich krasses Food-Game und wer hier schon versagt, kommt im Training nicht weit. Zwar erscheint es logisch, dass eine hohe Ausdauerbelastung auch viel Energie beansprucht, am Ende ist man selbst aber dann doch mehr als nur überrascht, welche extremen Züge das teilweise annehmen kann und muss.
Wenn ich an meine erste Ironmanvorbereitung denke, denke ich deshalb vor allem an Zucker. Sehr viel Zucker. Aber um ganz von vorne anzufangen: Gesteigerter Energiebedarf durch die Vorbereitung auf ein anstehendes hohes Ausdauersportziel war mir per se nichts Neues. Das erste Mal erlebte ich das während meiner Zeit als Langstreckenläuferin als ich auf meinen ersten Marathon trainierte.
Ich kam aus einer längeren Verletzungsphase und konnte deshalb für die Bahnwettkämpfe der gerade bereits auslaufenden Sommersaison nicht mehr die nötige Schnelligkeit im Training aufbringen, weshalb mein Trainer und ich die Entscheidung fällten, umzuplanen und stattdessen von meinem „ausgeruhten“ Zustand und der niedrigen Kilometerbelastung in den Beinen zu profitieren und einen Ausdauerblock in Form einer Marathonvorbereitung an die Wochen des leichten Wiedereinstiegs ins Training anzuschließen.
Auch wenn ich im Nachhinein sagen würde, dass damals wahrscheinlich sowohl trainingsmethodisch aus auch ernährungstechnisch ziemlich viel ziemlich falsch gemacht wurde, kann ich zumindest das Argument anführen, dass Wissen über optimale Verpflegung vor, während und nach Training sowie Wettkampf auch in professionellen Kreisen noch kaum verbreitet war. Ich war damals bereits viele Jahre im Nationalkader Langstreckenlauf und hatte neben meinem eigenen Training in einer leistungsstarken Mannschaft auch so viel Einblick in das meiner NationalmannschaftskollegInnen, um zu sagen: Man wusste es nicht besser.
Der Zugriff auf gut verträgliche Sportnahrung gerade für mich als Athletin mit einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung war extrem schlecht, beziehungsweise nicht vorhanden. Heute bin ich stolz und dankbar, mit sporthunger einen Partner an meiner Seite zu wissen, der gerade in diesem Bereich extrem gut aufgestellt ist und mir eine breite Palette an Produkten zur Verfügung stellt, die mir dabei helfen, meine Sporternährung während Training und Wettkampf optimal zu gestalten.
Zu meiner Läuferinnenzeit galt hingegen noch der unausgesprochene Grundsatz, alles, was im Training auch nur irgendwie ohne Flüssigkeits- und Kohlehydratzufuhr möglich war, ohne Energiezufuhr zu absolvieren. Gels oder Riegel habe weder ich im Training zu mir genommen noch meine Regensburger VereinskameradInnen, zu denen etliche OlympiateilnehmerInnen und AthletInnen der deutschen Spitze im Langstreckenlauf zählten. Bei Longruns (35 bis 40 Kilometer, meist mit Intervallen oder Endbeschleunigung) hatten wir meist – wenn überhaupt - Versorgung mit Wasserflaschen. Energie in Form von Kohlehydratgetränken oder Gels waren nicht vorgesehen. Manche absolvierten diese Einheiten sogar nüchtern. Während ich das hier aufschreibe, bekomme ich selbst eine Gänsehaut.
Zudem waren zu dieser Zeit noch Ernährungsstrategien wie die Saltin-Diät, bei der ca. eine Woche vor der Wettkampfbelastungen die Kohlehydratspeicher sukzessive durch eine kohlehydratarme Ernährung sowie einen „Entleerungslauf“ wenige Tage vor dem Rennen auf null reduziert wurden, um durch das anschließende Auffüllen eine Superkompensation der Glykogenspeicher zu erreichen (nicht immer mit Erfolg).
Mittlerweile ist man glücklicherweise zumindest landläufig davon abgekommen und die Erkenntnis, dass ein solcher „überschießender“ Effekt auch mit ganz normalem Tapering in Kombination mit kohlehydratbetonter Ernährung vier bis drei Tage vor dem Wettkampf erreicht werden kann, sorgt nicht nur dafür, dass sicherlich einigen ambitionierten SportlerInnen die Tage vor ihrem sportlichen Höhepunkt deutlich mehr Freude bereiten, sondern auch dass die extremen gesundheitlichen Risiken, die eine Saltin-Diät birgt, vermieden werden.
Mittlerweile ist es fester Bestandteil meines Trainings, kräftezehrende oder extensive Einheiten nicht nur vor und nach der Belastung, sondern auch währenddessen in ausreichendem Maße zu verpflegen, was im Übrigen dazu führt, dass richtig harte Einheiten auch mal richtig Spaß machen können oder ein Stück Riegel zum richtigen Zeitpunkt auch mal extrem motivierend sein kann. Zuckerbrot und Peitsche sozusagen. Als ich mit Triathlon anfing, war es allerdings tatsächlich noch recht seltsam für mich, während eines Lauftrainings zu essen. Als ich nun auf meinen ersten Ironman trainiert habe, hätte ich ohne diese Verpflegung während der Einheiten die Startlinie vermutlich nie gesehen.
Ich kann deshalb jeder und jedem, die sich für dieses Jahr eine Triathlon-Langdistanz vorgenommen hat nur wärmstens empfehlen: Vergesst das Essen nicht. Ihr merkt gar nicht, wie viel euer Körper leistet. Natürlich ist Hungergefühl grundsätzlich ein guter Indikator. Wenn ihr aber eine mehrstündige Radfahrt vor euch habt und danach vielleicht sogar noch einen Koppellauf im Anschluss, seid ihr nicht gut beraten, so lange mit dem Essen zu warten, bis euer Körper signalisiert: Hey, meine Reserven sind leer.
Man kann sich das vorstellen wie ein Lagerfeuer, bei dem man jedes Mal wartet, bis es ausgeht, nur um es dann aufwendig wieder anzuzünden. Macht keinen Sinn. Energie- sowie zeitsparender ist es stattdessen, rechtzeitig in geeigneten Portionen ein paar Scheite nachzulegen und die Flamme konstant zu halten, bevor sie versiegt und erlischt. Und dieser Vergleich gilt natürlich nicht nur für das Training, sondern auch für den Wettkampf. Mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass die Anstrengung hier noch ein wenig höher und vor allem länger ist. Warum einfach, wenn es auch schwer geht? 😊
Das (trotzdem) Schöne an einem Ironman: Man hat Zeit, sehr viel Zeit. Man muss nicht direkt auf den ersten Metern Vollgas geben und man muss keine Zwischensprints einlegen, sondern man kann, genau so wie das Feuer konstant brennen soll, versuchen, in einen Rhythmus zu kommen. Einen Flow.
Die Ernährung kann hierbei sogar ein strukturierendes Element sein: Ich habe mir zum Beispiel beim Radfahren immer Fünf-Kilometer-Marken gesetzt, an denen ich konstant Verpflegung zugeführt habe. Ähnlich hatte ich es auch mit reiner Flüssigkeitszufuhr (also Wasser) geplant. Leider verlor ich aber schon auf den ersten Kilometern meine große Trinkflasche, die ich regelmäßig bei Wasserstationen auffüllen wollte.
Ärgerlich, schließlich war ich die Rennstrecke mehrfach und auch mit meinem Rennsetup abgefahren und hatte nie das Gefühl gehabt, der Bodenbelag wäre derart uneben, dass es dazu kommen könnte. So musste ich daher während des Rennens ein wenig umdisponieren – aber auch das gehört dazu.
Die Radstrecke bestand aus zwei 90km langen Runden. Beim Übergang von der ersten in die zweite Runde gab es die Möglichkeit (wie bei den meisten Langdistanztriathlons) persönliche Verpflegung, sogenannte „special needs“ aufzunehmen. Einige meiner Profi-Kolleginnen ließen diese Option zur Zeitersparnis aus, ich hingegen nahm diese Einbußen in Kauf, blieb stehen und packte alles ein, was ich auf der zweiten Runde noch brauchen könnte, um auf gar keinen Fall unterzuckert zu sein.
Vermeiden ließ es sich trotzdem nicht, dass ich mich (in meinen Augen schon relativ früh) ab Kilometer 110 vor meinen Gels und all diesem Zucker zu ekeln begann. Ich hatte von anderen schon davon gehört und hätte niemals gedacht, dass es mir einmal so gehen würde (bisher hatte ich mich bei Wettkämpfen immer auf süße Gels, Getränke und Riegel gefreut). Nun kann ich sagen, auch wenn ich meine Rennverpflegung von sporthunger wirklich sehr mag: In diesem Moment hätte ich liebend gerne einfach aufgehört, all die Kohlenhydrate in mich reinzupressen. Das wäre allerdings ein folgenschwerer Fehler gewesen und ich bin froh, dass ich doch sehr konsequent meinem Ernährungsplan auf dem Rad folgen konnte.
Wie viel ich tatsächlich brauchen würde, wusste ich zwar nicht exakt. Grundsätzlich bin ich bei Rennen immer gerne auf der sicheren Seite und nehme wahrscheinlich immer etwas mehr als nötig. Das machte sich jedoch spätestens beim nachfolgenden Marathon bezahlt, wo ich mit den Folgen eines Sturzes auf der Radstrecke zu kämpfen hatte:
Durch Flüssigkeit, die in den Bereich um mein Knie gelaufen war, wurde ein Nerv abgedrückt und verursachte Schmerzen. Streckenweise spürte ich daher auch meinen Fuß nicht mehr. Dennoch war ich energetisch so gut versorgt, dass ich mich zumindest bis zur Hälfte der Strecke noch relativ gut halten konnte, bevor dann mein Magen aufgrund der Schmerzen zu rebellieren begann. Ab diesem Moment konnte ich keine Nahrung mehr zu mir nehmen.
Ich versuchte alles, um bei den Versorgungsstationen auch nur irgendetwas in meinen Körper hineinzubekommen. Es half nichts.
Vermutlich habe ich mich auf der zweiten Hälfte des Marathons komplett leer gemacht, glücklicherweise war aber auch noch so viel im Tank, dass das überhaupt machbar war und ich die Ziellinie überqueren konnte. Insgeheim freue ich mich aber allein deshalb schon auf meine nächste Langdistanz, da ich sicher weiß, dass das besser funktionieren kann und wird.
Neu war für mich auch das Gefühl, nach dem Rennen trotz der extremen Schwäche und Erschöpfung (oder eben genau deshalb) überhaupt nichts Festes mehr essen zu können. Im Athletenzelt erwartete mich ein riesiges Buffet mit Pizza, Pasta, Kuchen und allen möglichen Softgetränken. Mehr als eine Kartoffelsuppe bekam ich jedoch nicht runter und erst am späten Abend, nachdem ich in unserer Unterkunft zwei Stunden geschlafen hatte, verspürte ich zumindest so etwas Ähnliches wie Hunger.
Das Einzige, was ich in diesem Moment dann aber wirklich nicht sehen wollte, war Zucker.
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Franzi Reng ist professionelle Triathletin und Mitherausgeberin des ausgezeichneten Printmagazins PODIUM. Zusammen mit Philipp Hofmann spricht sie in ihrem Podcast „Sweet Spot, Baby“ über ihren Alltag zwischen Trainingseinheiten, Powernaps und Carboloading.